Donnerstag, 12. Oktober 2017

Der Seefahrer

Ein alter Mann sitzt still am Tisch,
sitzt dort von früh bis spät.
Der Blick ruht rot verspiegelt sanft,
im Wein, der vor ihm steht.

Ein Glas, mehr nicht, den ganzen Tag,
die Zeit des Rauschs vorbei.
Was heute ihm noch Spaß verschafft
ist längst Vergangenheit.

So sieht er Bilder, fast verblasst,
im roten Spiegel blühn,
einst war er jung, er war noch stark,
nicht weise, aber kühn.

Nie hatte er daran gedacht,
einmal so alt zu sein.
Das Leben schien für ihn gemacht,
die Welt schien fast zu klein.

Dann kam die Weisheit mit der Zeit,
der Kühnheit schwerster Lohn,
dann wurde er der Träume müd',
der Wein sein Meer, ein Stuhl sein Thron.

Doch zeichnet Leid nicht sein Gesicht,
denn lächelnd sitzt er dort,
er träumt und reist mit seinem Schiff,
zu jedem blassen Ort.

Er blickt durch Nebel, blickt durch Gischt,
zur Küste, neues Land!
Mit Hoffnung, Feuer, Stolz im Blick,
seins wird, was unbekannt!

So manchen Kampf hat er gekämpft,
mit Mensch und Tier und sich
noch jeden hat er überlebt,
nichts gab's vor dem er wich.

Und heute dann erzählt er gern,
wenn ihn denn jemand fragt,
von Abenteuern jener Zeit,
von Gold und Drachenjagd.

Man denkt wohl oft, er sei verwirrt,
doch kümmert ihn das kaum,
er lebt nun für Geschichten noch,
die Gegenwart ein Traum.

Das Schicksal hat ihn nie bedacht
mit Kindern seiner Frau,
dann ging sie vor zehn Jahren schon
voraus ins Ewiggrau.

Seitdem sitzt wartend er am Tisch,
erzählt und lacht und dann
erscheint es oft dem Hörenden,
als wär er selbst der Mann.

Und diesen freut ein jedes Ohr,
das seinen Lippen lauscht,
schon immer hat er andere
so gern mit Wort berauscht.

So komm du nur, wenn du ihn siehst
und nimm am Tische Platz,
dann hör ihm zu, vergiss ihn nie
und erbe seinen Schatz.

12.10.2017