Sonntag, 15. Oktober 2017

Die Alte

Dunkler Qualm verrät ihr Alter,
heut' schon über Neunzig Jahr,
nur selten noch kauft man am Schalter
ein Ticket, um mit ihr zu fahrn.

Prachtvoll steht sie auf den Schienen,
stolz den Blick nur geradeaus,
für's Glänzen in den Kindermienen
holt man sie jährlich wieder raus.

Spektakel, Fest und Tradition,
urig wird sie heut' genannt;
so blank wie sie ist dieser Hohn,
stand sie doch einst für Stolz im Land.

Damals Neunzehnhundertzwanzig,
fuhr sie noch rund um die Uhr,
durch Wetter, Nebel, bis nach Danzig,
durch Täler, Berge, bis zur Ruhr.

Damals war ihr Lack noch Fuchsrot,
heute grau, nach all den Jahrn,
und läng're Strecken wären ihr Tod,
nur zur Ortsgrenze darf sie fahrn.

Oft erhofft sie sich ein Ende,
keine Kohlen solln mehr glühn,
doch hat sie weder Mund noch Hände,
so wird ganz langsam sie verblühn.


[Und wieder Mal bat ich um drei Worte und wieder Mal hat man mir drei gegeben:
Nebel, Schienen, Ortsgrenze]

15.10.2017